Ernst von Glasersfeld Lecture 2023

Dienstag, 16. Mai 18:00
Claudiana, Claudiasaal, Herzog-Friedrich-Str. 3
Wir bitten um Anmeldung bis zum 12.5.: evg-archiv@uibk.ac.at

Josef Mitterer
Institut für Philosophie, Universität Klagenfurt

Die Richtung des Denkens.

Drei Gemeinsamkeiten bilden die Basis der dualistischen Philosophie:
— die Voraussetzung einer Dichotomie zwischen Sprachebene und Objektebene, zwischen Sprache und Wirklichkeit,
— die Suche nach Wahrheit und Erkenntnis
und
— die Richtung des Denkens.
Das Denken ist auf den Gegenstand des Denkens gerichtet. Unser Reden ist auf das gerichtet, worüber wir reden. Die Erkenntnis ist rückwärts gerichtet: auf das vor der Erkenntnis schon vorliegende Objekt.
Das rückwärtsgewandte Denken führt in Paradoxien und in den dualistischen Zirkel.
Die Richtung des Denkens auf das Denkobjekt bildet einen zentralen Zug einer philosophischen Argumentationstechnik, die beliebige Auffassungen rechtfertigen oder kritisieren kann.

Diese drei Gemeinsamkeiten sind dogmatische Setzungen, die den philosophischen Diskurs bestimmen. Sind diese Setzungen-im-Voraus zwingend vorgegeben oder sind sie das Ergebnis einer philosophischen Erziehung und damit optional? Wie werden Setzungen zu Voraussetzungen? Wie gelingt es die Resultate unserer Überlegungen, unseres Denkens, zu apriorisieren? Ist die Idee der Referenz unverzichtbar? Eine nicht-dualisierende Denkweise, die sprachverschiedene Objekte weder voraussetzt noch hervorbringt, wird als Alternative vorgestellt. Die Erkenntnis ist nicht auf das Objekt gerichtet, sondern geht von ihm aus. Das Objekt der Erkenntnis verhält sich zur Erkenntnis des Objekts wie die Erkenntnis so far zur Erkenntnis from now on.

Mich interessiert hier nicht die Geschichte der Philosophie – diese ist bekannt. Mich interessiert ihre Vorgeschichte: der blinde Fleck des philosophischen Denkens. Im Vortrag geht es um Transparenz und nicht um Transzendenz.

Josef Mitterer

Josef Mitterer, geboren 1948 in Westendorf, studierte Psychologie und Soziologie in Innsbruck und Linz sowie Philosophie in Graz. Studienaufenthalte verbrachte er an der London School of Economics, an der Universität Heidelberg, am Inter-University Centre in Dubrovnik und an der University of California at Berkeley bei Paul Feyerabend. Seit 1990 lehrt er am Institut für Philosophie in Klagenfurt.
Mitterers Arbeiten stellen Denkgewohnheiten in Frage, die in der philosophischen Tradition fest verankert sind und dabei so trivial und evident scheinen, dass eine Alternative auf den ersten Blick nicht einmal vorstellbar ist.

Schriften:
Das Jenseits der Philosophie. Wider das dualistische Erkenntnisprinzip (1992; Neuausgabe 2011)
Die Flucht aus der Beliebigkeit (2001; Neuausgabe 2011)
Die Richtung des Denkens (in Vorbereitung)
Zu Josef Mitterer:
Alexander Riegler & Stefan Weber (Hrsg.), Die Dritte Philosophie. Kritische Beiträge zu Josef Mitterers Non-Dualismus (2010)
The Non-dualizing Philosophy of Josef Mitterer. Sonderheft Constructivist Foundations 3/1(2008)
Non-dualism: A Conceptual Revision? Sonderheft Constructivist Foundations 8/2 (2013)
Konstruktywizm. Litteraria Copernicana 19/3 (2016)